Reformhaus Deutschland

Es gehört scheinbar zu den Eigenheiten der Sprache, dass gleiche Begriffe zu unterschiedlichen Zeiten schier Gegensätzliches bedeuten können.

War „Reform“ einst mit mehr Menschlichkeit und Demokratie verknüpft, bläuen uns die heutigen „Reformer“ das Gegenteil davon ein: weniger Soziales, weniger Dienstleistungen, weniger Mitbestimmung.

Je mehr Errungenschaften an den Pranger kommen, umso „reformfreudiger“ gilt der, der dies vollzieht. Was hätten Sie denn gern? Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt: gestern noch 35-, heute 40-, morgen 50-, künftig 70 Stunden-Woche wie in preußischen Kanonenwerken? Heute Studiengebühren, morgen Schulgeld, übermorgen Kinderarbeit und Lehrgeld mit Züchtigungsrechten für den Lehrmeister?

Und kommt der „Reformeifer“ erst so richtig in Schwung: Ist dann die von Merkel u. Co. angepeilte Zerschlagung der Tarifautonomie nicht viel zu zaghaft? Wäre ein Ende des Koalitions- und Streikrechts in dieser Logik nicht die konsequenteste Fortsetzung, um die „Plage Gewerkschaften“ (Westerwelle) zu beseitigen?

Und in riesengroßen Lettern prangt der wiederentdeckte Leitgedanke aller „Modernisierer“ über dem Reformhaus Deutschland: „Jeder denkt an sich, dann ist an alle gedacht!“

(Juli 2004)

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