Alwine Neumann
Man nannte sie die Rote Alwine. Nicht wegen ihrer Haarfarbe, mehr aufgrund ihrer Gesinnung: Denn Alwine Wellmann war rot, entschieden sozialistisch und demokratisch. In einer Zeit, in der Quote oder Frauenförderung absolute Fremdworte waren, gelang ihr der Sprung in gleich zwei Volksvertretungen. Von 1924 bis 1933 gehörte sie dem Preußischen Landtag für den Wahlbereich Osnabrück-Aurich an. Mehrere Jahre vertrat sie die Osnabrücker SPD im Stadtrat, dem damaligen Bürgervorsteherkolleg.
Das Rüstzeug dafür hatte sie gewissermaßen von der Pike auf gelernt. Schon früh engagierte sie sich in der Arbeiterbewegung und in der sozialistischen Frauenszene. In den 20er Jahren wirkte sie einige Jahre in Berlin in der Verlagsbuchhandlung der Parteizeitung „Vorwärts“.
In den Versammlungen und Parlamenten beließ sie es keineswegs bei stiller Mitarbeit, sondern führte ein mutiges Wort und war über Versammlungssääle hinaus eine vielgefragte Rednerin auf Großkundgebungen der SPD. Nicht wenigen Männer aus dem rechten Lager, die sich Frauen nur an Heim und Herd vorstellen konnten, war sie ein Haß- und Feindbild, dem Alwine natürlich immer gern gerecht wurde.
Eine Hoffnungsträgerin der Osnabrücker Sozialdemokratie wurde die Abgeordnete Wellmann vor allem in den letzten Jahren der Weimarer Republik. Immer, wenn es darum ging, den Rechten die Stirn zu zeigen, stand Alwine in der ersten Reihe.
Insbesondere auf Kundgebungen vor Ort, aber auch als vielbegehrte Rednerin auf überregionalen Treffen, traf Alwine Wellmann den richtigen Ton der SPD-Anhängerschaft. Besonders unvergessen blieb vielen ein internationaler Auftritt auf einer antifaschistischen Demonstration deutscher und niederländischer Sozialdemokraten im holländischen Enschede am 4 September 1932 vor 13.000 Teilnehmern. Unvergessen blieb auch Alwines letzter öffentlicher Auftritt im Osnabrücker Stadtrat am 12. April 1933. Die Nazis wollten alle Ratsmitglieder dazu zwingen, ein Sieg-Heil zu sprechen. Während Konservative und Liberale – die Kommunisten waren bereits illegal – willig in den „deutschen Gruß“ einstimmten, meldete Ratsfrau Wellmann sich für die 11-köpfige SPD-Fraktion im Bürgervorsteherkolleg zu Wort: „Die SPD-Fraktion kann sich nicht an einem ‚ Siegheil ‚ auf die Stadt Osnabrück, sehr wohl aber an einem ‚Hoch‘ auf Osnabrück beteiligen. Niemand“, so betonte sie, „kann von der Sozialdemokratie verlangen, ihre Ehre aufzugeben. Das sollte auch die NSDAP verstehen , die Ehre und Sauberkeit angeblich so hoch schätzt. “ Die SPD-Fraktion grüßte folglich nicht – und dies in einem Friedenssaal, in welchem Nazi-Fahnen von den Wänden hingen und zahlreiche schlägereierprobte SA-Männer mit hasserfüllter Mine ein solches Treiben beobachteten. Es war Alwine Wellmanns letzter Beitrag im Stadtrat jener Zeit. Die Ratssitzung 13. Mai fand bereits ohne die SPD-Ratsmitglieder statt, deren Mandate – angeblich – freiwillig niedergelegt, in Wahrheit längst illegal waren.
Dass „die rote Alwine“ nicht ohne Gefahr für Leib und Leben im Lande bleiben konnte, verstand sich von selbst. Ihre Flucht im Mai 1933 trieb sie schließlich nach Bulgarien, wo ihre eine Scheinheirat den Aufenthalt und indirekt auch das Leben rettete.
1948 kehrte die Sozialdemokratin nach Osnabrück zurück und beteiligte sich am Wiederaufbau von Partei und Arbeiterwohlfahrt. Entschieden focht sie für eine demokratische Planwirtschaft, um die Versorgungsengpässe zu lösen. Die eigene Vergangenheit ließ Alwine Wellmann auch beruflich nicht los: Von 1950 bis 1956 war sie Dezernentin für politisch Verfolgte im Wiedergutmachungsdezernat bei der Osnabrücker Regierung. Sie starb 1966 im Alter von 75 Jahren.